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Das Rendezvous-System und der „weiße Elefant“

In den 1970iger-Jahren erlangte das Auto mit dem Kennzeichen MA-LV 547 auf den Rennstrecken Europas Berühmtheit. Das Nummernschild gehörte zum ersten Krankenwagen, der im Motorsport eingesetzt wurde. Federführend war der Deutsche Sportfahrer Kreis e.V., der damit die medizinische Versorgung bei den verschiedenen Veranstaltungen maßgeblich verbesserte. Zustande kam das Projekt auf Initiative des damaligen DSK-Präsidenten Bodo Grafenhorst, Vizepräsident Hans Schwägerl und Dr. Eduard Rothenfelder, Facharzt für Chirurgie und Orthopädie in der Unfallklinik Mannheim, und mit Benzin im Blut. Auf der Internationalen Automobilausstellung in Genf war der DSK auf das „Clinomobil“ aufmerksam geworden.

Der Einsatzleiter des Fahrzeuges, Hans-Günter Besau, der hauptberuflich als Maschinenbautechniker bei den John Deere-Werken in Mannheim arbeitete, erinnert sich: „In dem Wagen konnten vier Personen sitzend und zwei Personen liegend transportiert werden. Das war eine Rarität. Das war ein Ausstellungsfahrzeug. Eigentlich wurde es nur gebaut, um mal darzustellen, was man mit so einem Rettungswagen alles machen kann. Beim DSK war man begeistert, weil man das Auto aufgrund der Größe auch als Rallye-Begleitfahrzeug einsetzen konnte. Das war wie ein Rettungsbus.“

Premiere feierte der Rettungswagen vom 29. bis 31. Mai 1970 beim 1000-Kilometer-Rennen am Nürburgring. In der Motorsport-Szene war er später unter dem Namen „Mannheimer Lebensversicherung“ bekannt. Zuvor waren aber noch ein paar bürokratische Hürden zu nehmen. Denn damals wie heute dürfen Rettungswagen nicht „einfach“ eingesetzt werden. „Sie können sich ja privat auch keinen Polizeiwagen kaufen“, so Besau. Gemeinsam mit dem Mannheim-Heidelberger-Sports-Touring-Club, Dr. „Edi“ Rothenfelder und der Johanniter Unfall Hilfe Mannheim fand man schnell eine Lösung: Die Johanniter wurden Betreiber des Rettungswagens und die Weichen für mehr Sicherheit im Motorsport waren gestellt.

„Edi Rothenfelder ist dann immer in dem Fahrzeug mitgefahren. Ich habe sozusagen die Schirmherrschaft übernommen. Ich war der Einsatzleiter vom Anfang bis zum Schluss. Zunächst lief er als DSK-Rettungswagen und wurde vornehmlich bei den permanenten Rennstrecken in Hockenheim und am Nürburgring eingesetzt. Nach den ersten Probeeinsätzen haben wir mit Rallye-Begleitungen angefangen. Wir haben die Hessen-Rallye begleitet, die bis nach Tschechien führte, die Stuttgart-Rallye, die bis nach Frankreich in die See-Alpen ging“, erzählt Besau. Das Ganze hatte für alle Beteiligten durchaus den Charakter eines Abenteuers. „Das war schon ungewöhnlich, mit so einem halben LKW diese langen Touren zu machen. Die Teilnehmer waren sehr froh darüber, wenn jemand verunglückt ist, haben wir die Verletzten mit nach Hause genommen. Die Besatzung bestand dabei immer aus drei Personen, Fahrer und Beifahrer, die beide ausgebildete Rettungssanitäter waren und Dr. Rothenfelder.“

Besau und sein Team wurden dabei immer wieder vor besondere Herausforderungen gestellt. Mit einer kleinen Gruppe innerhalb der Johanniter spezialisierte man sich auf die Motorsport-Betreuung. Denn mit dem normalen Rettungsdiensteinsatz war dies schwer zu vergleichen. Man musste schon wissen, wie Motorsport funktioniert. „Wir waren die Ersten, die während des Rennens auf die Strecke gefahren sind. Da wurden die Rennen bei einem Einsatz nicht abgebrochen. Das hat aber nur funktioniert, weil wir die Ideallinie der Sportfahrer kannten und wir uns dann auf der Strecke außerhalb dieser bewegt haben. Natürlich wurde dementsprechend beflaggt, aber der Spuk mit uns war dann meistens in ein paar Minuten vorbei“, weiß Besau.

Die Größe des Rettungswagens und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten halfen im Laufe der Jahre so manch schwerverletztem Piloten weiter. Ohne das Fahrzeug hätte es oftmals nicht die notwendige Hilfestellung gegeben. Besau verdeutlicht dies an einem Beispiel aus der Praxis: „Es gab bei der Rallye Wien-Budapest einen schweren Unfall. Da ist ein Fahrer des Steinmetz-Teams tödlich verunglückt und der Beifahrer war schwer verletzt. Wir haben ihn dann in Gyõr abgeholt und in einer Vakuum-Matratze nach Rüsselsheim nach Hause transportiert, obwohl er Beckenbrüche hatte.“

Der Rettungswagen, genannt „der weiße Elefant“, war aber auch noch in anderer Hinsicht ein Vorreiter. Besau und sein Team lernten damals Herbert Linge, Rennfahrer der Nachkriegszeit bei Porsche, kennen. Linge setzte sich ebenfalls stark für die Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen im Rennsport ein. Gemeinsam schmiedete man den Plan ein System auf die Rennstrecke zu übernehmen, das damals schon im alltäglichen Rettungseinsatz ausprobiert wurde: Das sogenannte Rendezvous-System.

Dabei handelt es sich um eine Einsatztaktik, bei der zwei Einheiten zum selben Einsatzort alarmiert werden, um dort gemeinsam Hilfe zu leisten. Linge steuerte zunächst einen alten Sechs-Zylinder 914er Porsche bei, den er in Weissach in der Garage stehen hatte. Dieser wurde zum Notarzteinsatzwagen umgebaut. „Es wurde gesagt, wenn wir die Rettungskette aufbauen, ist der Rettungswagen wichtig, weil er die Leute abtransportieren und in ihm auch gearbeitet werden kann, wie im Vorbereich einer Klinik. Aber vor allem ist es wichtig, den Arzt so schnell wie möglich an die Unfallstelle zu bringen. Deswegen hat man den Arzt auf einen schnellen PKW gesetzt, der LKW ist gleichzeitig gestartet und kam ein paar Minuten später an. Der Arzt konnte somit schon seine ersten Diagnosen stellen“, sagt Besau und fügt hinzu: „Am Anfang ist Herbert Linge den Porsche gefahren. Später ist das immer mehr gewachsen, die Industrie hat gesponsert und so ist die ONS-Staffel entstanden.“

1973 übergab der Deutsche Sportfahrer Kreis das Fahrzeug an die ONS als Ergänzung des Rennstrecken-Sicherungs-Programms. Zwei Jahre später fuhr der erste Rettungswagen in der Motorsportgeschichte nach über 14.000 Dienststunden und dem dritten Austauschmotor seinen letzten Einsatz.

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